Einige Anmerkungen zur frühen Entwicklungsgeschichte der Haubenkanarien
Dieser Artikel ist ursprünglich in „Der Vogelfreund – Mai 2013“ erschienen und als PDF an diesen Artikel angehängt. Autor: Michael Monthofer, Kiebitzreihe – Retrodigitalisierung: Thomas Müller, Langerwehe.
Er ist der Fachgruppe der Farben- und Positurkanarien zugeordnet und in der dortigen Übersicht auffindbar.
Im Jahre 1923 erschien in den „Ornithologischen Monatsberichten“ von Erwin Stresemann dessen heute noch bemerkenswerte Abhandlung mit dem Titel: „Zur Geschichte einiger Kanarienvogel-Rassen“. Auch im „Kanarien- bzw. Vogelfreund“ wurde auf die Arbeit von Stresemann in den vergangenen Jahrzehnten gelegentlich Bezug genommen, ohne jedoch ausdrücklich den Verfasser zu benennen. Überdies wurde sein Artikel meist nur fragmentarisch wiedergegeben und es wurden die von ihm genannten Jahreszahlen im Laufe der Zeit von diversen Autoren so verfälscht, dass man heutzutage nur noch resigniert feststellen kann: Fast alle Daten der frühen Entwicklungsgeschichte der Haubenvögel sind in der einschlägigen Kanarienliteratur falsch benannt!
Es gibt wohl keine Abhandlung über Haubenkanarien in den letzten 30 Jahren, in der nicht die ominöse Jahreszahl 1677 erwähnt wird. Diese bezieht sich aber in dem Artikel von Stresemann auf das erste Auftauchen der weißen bzw. gelben Kanarienvögel, von denen der Arzt Lucas Schroeckius aus Augsburg im Jahre 1677 berichtete. Mit Haubenkanarien hat diese Jahreszahl überhaupt nichts zu tun! Da die Ausführungen Stresemanns speziell zu den Haubenkanarien bis zum heutigen Tage mit kleinen Einschränkungen ihre Gültigkeit behalten haben, werden sie ungekürzt wie folgt wiedergegeben:
„Der gehäubte Kanarienvogel war 1709 in Frankreich, das damals vorwiegend aus Tirol mit Kanarienvögeln versorgt wurde, noch nicht bekannt; denn Hervieux de Chanteloup erwähnte diese Spielart in der ersten Ausgabe seines „Nouveau traité des Serins de Canarie“ noch nicht, ja sie fehlt sogar in der Ausgabe dieses Buches vom Jahre 1766 noch. Inzwischen war jedoch diese Mutante in Franken aufgetreten und durch die Züchter festgehalten worden. F. v. Wickede weiß das Jahr anzugeben, in welchem zum ersten Mal Haubenkanarien aus Deutschland nach Holland eingeführt wurden: 1734. Ich lasse seine Mitteilungen wörtlich folgen: „Noch vind men Kanarivogels met kuiven, die allereerst sedert den jare 1734. alhier gezien zyn, en men, omdat het was nieuws is, het meest agt; zynde het zeer opmerkelijk, dat de konst zo verre gaet, dat men Kanarivogels met kuiven weet te trekken.
Men zegt, dat dezelve allereerst in het Neurenburgsche geteelt zyn. Ten tyde zy eerst hier te Lande kwamen, wierden zy geetig het stuk voor een Pistool verkogt; dog sedert, gemener geworden zynde, zyn zy ook thans beter koop: echter blyven zy steeds hoger in prys, dan de andere“. 1772 wird diese Mutante in einem anonym erschienenen deutschen Buch abgebildet. Dass sie damals noch immer selten war, bezeugt Krünitz 1776 mit den Worten: „Seit einigen Jahren sind auch die gehaubten oder tolligten Canarienvögel bekannt, welche zwischen dem Kopf und Schnabel ein kleines vorwärts stehendes Büschchen, nach Art der türkischen Tauben, sitzen haben.“
Damals galten sie in Augsburg als selten. 1702 hatte man ihre Zucht in Nördlingen schon so weit gefördert, dass sie zu den Alltäglichkeiten gezählt wurden. Die gehäubten Kanarienvögel wurden zum ersten Mal im Jahre 1734, und zwar aus Nürnberg, in Holland eingeführt. Nach einigen Jahrzehnten (1750?) waren sie in Holland häufiger geworden. Die älteste deutsche Abbildung stammt von 1772. 1776 heißt es, sie seien in Deutschland „seit einigen Jahren“ bekannt. 1778 werden sie von Buffon erwähnt“.
Soweit das Zitat Stresemanns. [Stresemann, Zur Geschichte einiger Kanarienvogel- Rassen, Ornith. Monatsber. XXXI, 5, 1923]
Älteste Abbildung eines Haubenkanarienvogel
Seine Annahme, dass die älteste deutsche Abbildung eines Haubenkanarienvogels aus dem Jahre 1772 stammt, musste im Jahre 2000 revidiert werden, als von Ragnar K. Kinzelbach und Jochen Hölzinger deren Arbeit erschien mit dem Titel: „Marcus zum Lamm (1544 – 1606 ) Die Vogelbilder aus dem Thesaurus Picturarum“. Im Vorwort heißt es wie folgt:
„Im Jahre 1606 nahm der Tod dem Theologen Marcus zum Lamm die Feder aus der Hand. Das Manuskript der drei von ihm besonders liebevoll betreuten Vogelbände seines „Thesaurus Picturarum“, einer illustrierten Sammlung des Wissens seiner Zeit, blieb seitdem ungedruckt und wenig beachtet liegen. Um 394 Jahre verspätet gelingt endlich die Publikation. Sie soll das Werk eines frühen Amateurornithologen technisch und geistig allgemein zugänglich machen. Die private „Avifauna“ zum Lamms beruht zwar überwiegend auf lokalen Quellen um Heidelberg und Speyer, öffnet sich jedoch im Zeitalter der Entdeckungen auch der Welt der exotischen Tiere, soweit sie damals von Heidelberg aus wahrnehmbar war. Marcus zum Lamm steht exemplarisch dafür, dass viele faunengeschichtliche Quellen noch nicht wahrgenommen, unzureichend publiziert und vor allem noch nicht konsequent und vergleichend ausgewertet worden sind. Dies gilt für Gebrauchs- und Chronikliteratur oder „mindere“ Kunst; aber auch wichtige Bildersammlungen sind erst in jüngster Zeit wieder beachtet worden. Unser Kulturerbe wird vernachlässigt. Die vorlinnésche Zoologie wird bisher nur als Kuriosum „ausgeschlachtet“. Dieser Schatz muss gehoben werden.“
Die Bilder der Vogelbände des Thesaurus Picturarum stammen überwiegend von vier unterscheidbaren Malern, die von Kinzelbach und Hölzinger mangels überlieferter Namen mit den Großbuchstaben A, B, C, und D bezeichnet werden. Die Detailtreue der beteiligten Maler ist unterschiedlich, wechselt jedoch auch in der Zeit. Maler A kann sowohl recht flüchtig und naiv als auch sehr liebevoll und objektgetreu arbeiten. Von Maler A stammen auch die Kanarienvögel, die Haubenhühner sowie die Haustauben mit Haube.
Im Thesaurus Picturarum stehen die beiden links abgebildeten Bilder bei den Goldammern. Es handelt sich aber offensichtlich um ein Paar Kanarienvögel. Vor allem das Tier mit der Haube (links unten), dem gelben Schwanz und den gelben Flecken im Flügelgefieder lässt keine andere Deutung zu. Zum Lamm kannte offenbar nur die wildfarbenen Kanarienvögel (rechts); er wusste daher diese Tiere nicht richtig zuzuordnen und reihte sie unter die Goldammern ein. Leider sind die Bilder nicht datiert, sie dürften aber nach Kinzelbach und Hölzinger vor der Jahrhundertwende 1600 entstanden sein.
Sehr interessant sind dann die weiteren Ausführungen von Kinzelbach und Hölzinger bei der Besprechung der Goldammerbilder: Sie stellen nochmals klar, dass es sich bei beiden vorstehend abgebildeten Tieren um zahme Kanarienvögel handelt:
„Sie gerieten nur infolge Unkenntnis unter die Goldammern. Dafür sprechen besonders die gelben Schwungfedern und der gelbe Schwanz des Männchens. Die Haube braucht nicht zu stören, da zu dieser Darstellung schon einige abgespreizte Kopffedern Anlass geben können. Offensichtlich wusste zum Lamm die überwiegend gelben Zuchtkanarien noch nicht richtig einzuordnen. Bei Vögeln, die von Natur aus eine Haube oder in anderer Weise mehr oder minder deutlich abspreizbare Kopffedern besitzen, wurde im Thesaurus Picturarum dieses Merkmal betont oder übertrieben. Zusätzlich wurden Vögel, die nach objektiver Betrachtung nicht dafür in Frage kommen, mit solchen Hauben ausgestattet. Auch auf mittelalterlichen Tafelbildern zeigen besonders die als Symbol des Heiligen Geistes abgebildeten weißen Haustauben regelmäßig eine stumpfe Haube, zuweilen zusätzlich durch einen Heiligenschein betont. Vögel im Rankenwerk spätmittelalterlicher Texte sind entweder schon so ausgewählt, dass unter ihnen die Haubenträger überrepräsentiert sind oder die gelegentlich dargestellten Phantasievögel zeichnen sich durch übertriebene Hauben aus. Aber auch weit später genießen die Hauben von Vögeln besondere Beachtung, z. B. in der Stilllebenmalerei des 17. Jahrhunderts.“
Die Haube braucht nicht zu stören
Was bedeutet aber nun die etwas irritierende Formulierung: Die Haube braucht nicht zu stören, da zu dieser Darstellung schon einige abgespreizte Kopffedern Anlass geben können? Soll damit die Möglichkeit angedeutet werden, dass die Haube nicht wirklich vorhanden war, sondern vom Maler A nur „aufgesetzt“ wurde?
Im Hinblick auf die Tatsache, dass die Haube von der Seite und nicht von oben abgebildet ist, könnte man auch aus der Sicht eines Kanarienvogelzüchters berechtigterweise den Einwand erheben: Handelt es sich wirklich um einen Haubenvogel? Bei der heutigen Qualität der Hauben, insbesondere dem Übergang im Nacken, ist es möglicherweise für
den einen oder anderen Leser schwer nachvollziehbar, in der vorstehenden Abbildung einen Haubenvogel zu erkennen. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang eine Studie von sechs verschiedenen Haubenformen in dem Buch „Canaries and Cage Birds“ von Blakston, Swaysland und Wiener, das um 1880 erschien. Insbesondere die Abbildungen unten links und unten Mitte auf Seite 129 zeigen eine auffällige Ähnlichkeit mit dem Haubenvogel von Marcus zum Lamm!
Frühste Abbildung eines Kanarienvogels?
Berücksichtigt werden muss natürlich, dass zwischen beiden Abbildungen fast 300 Jahre liegen. Meines Erachtens kann es trotz gewisser Bedenken keinen vernünftigen Zweifel geben, dass die erste Abbildung eines Haubenkanarienvogels von Marcus zum Lamm stammt und dass dieser Vogel damals auch tatsächlich existent war! Die früheste Abbildung eines gelben Kanarienvogels in Mitteleuropa dürfte es ohnehin sein.
Ist nun die von Stresemann erwähnte Abbildung eines Haubenvogels aus dem Jahre 1772 die zweitälteste oder rangiert sie gar nur an dritter Stelle? Diese Frage kann Stresemann selbst beantworten, obwohl ihm das damals wahrscheinlich gar nicht bewusst war. Ebenfalls im Jahre 1923 erschien von ihm die Abhandlung: Die Vogelbilder des Nürnbergers Lazarus Röting (+ 1614), veröffentlicht in Verh. Orn. Ges. Bayern XV, 8, 1923, p. 313. Eine Abbildung hieraus ist in dem Buch von Tim Birkhead zu finden, das im Jahre 2003 erschien. Es trägt den Titel: „The Red Canary. The Story of the First Genetically Engineered Animal“. Auch im 2004 erschienenen Buch von Massimo Natale und Leone Giuliano Pidalà über die Mischlingszucht „Gli Ibridi“ findet man diese Abbildung. Zu sehen ist dort eine Zeichnung von Lazarus Röting aus dem Jahre 1610, die einen Stieglitz- Kanarienmischling darstellt.
Auf den ersten Blick scheint diese Zeichnung ziemlich unspektakulär zu sein, bei näherer Betrachtung fällt einem jedoch auf: Dieser Vogel hat eine Haube! Zum Vergleich wird auf die Abbildung rechts verwiesen, die unten rechts einen Stieglitz-Kanarienmischling ohne Haube aus der Zeit um 1790 zeigt. Sicherlich bleiben Zweifel, ob es sich wirklich um einen Haubenvogel handelt. So, wie Lazarus Röting jedoch auf dem Kopf dieses Bastards die schwarze Farbe „verteilt“ hat, spricht nach meiner Auffassung alles dafür, dass er einen Haubenvogel dargestellt hat. Ein Stieglitz und ebenso ein Stieglitz-Bastard ohne Haube zeigen eine völlig andere Verteilung der schwarzen bzw. dunklen Areale auf Kopf und Nacken!
Denkbar wäre auch, dass es sich im Sinne der Ausführungen von Kinzelbach & Hölzinger um „gespreizte“ Kopffedern handelt, die von Röting als Haube dargestellt wurden. Da man weder Röting befragen noch den damaligen Vogel besichtigen kann, bleibt für die Entscheidung – Haubenvogel ja oder nein – nur das persönliche Bauchgefühl! Vorausgesetzt man erkennt in der Zeichnung einen Haubenvogel, kann man getrost davon ausgehen, dass für diese Kreuzung kein Stieglitz mit Haube zur Verfügung stand. Es bleibt nur die naheliegende Schlussfolgerung, dass ein Haubenkanarienvogel als Mutter beteiligt gewesen sein muss. Leider passt diese Annahme nicht zu der in lateinischer Sprache verfassten Bildunterschrift: Danach entspringt der abgebildete Bastard einer Verpaarung von Kanarienhahn mit Stieglitzhenne! In Anbetracht der bekannten Schwierigkeiten bei der Verwendung einer Wildvogelhenne in der Bastardzucht, scheint die Bildunterschrift wenig glaubwürdig zu sein. Aber kann man ihre Richtigkeit deswegen völlig ausschließen? Im Hinblick auf die Farbe des Bastards und seine Haube lassen sich jedenfalls bezüglich des Geschlechts der Eltern keine Schlussfolgerungen ziehen.
Haubenkanarien in Europa
Verblüffend sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen von Kinzelbach & Hölzinger zum Stieglitz. Der von ihnen abgebildete Stieglitz wird als Variante eines Stieglitzes aus der Käfighaltung bezeichnet.
Ein leukistisches Tier mit weißlichem Rücken und Schwanz. Das Bild stammt aus der Serie von Maler C.
Es wird kein Kommentar gegeben, der Vogel war also bekannt und verbreitet. Ganz weiße Distelfinken werden bei Gessner (1585: 243) aus Rhätien erwähnt. Über ähnlich gefärbte schizochroistische Stieglitze berichtete Stresemann (1926). Distelfink kommt vom alt-hochdeutschen „distelfinko“. Zum Lamm gibt nur diesen Namen; das neuere aus Süd-Osten einwandernde „Stieglitz“ ist ihm noch nicht vertraut.
Distelfink statt Stieglitz
„Weißdistelfink“, dies ist eine überwiegend weiße, in Käfigzuchten auftretende Variante. Mit ihrer Erwähnung belegt zum Lamm mittelbar wiederum die weite Verbreitung und Beliebtheit der Haltung und Züchtung von Stubenvögeln zu seiner Zeit.“
So muss die Fragestellung, ob Röting sich geirrt hat oder ob seine Bildunterschrift vielleicht doch richtig ist, wohl dahingehend beantwortet werden, dass sie entgegen unserer heutigen Vermutung zutreffend sein dürfte! Es wurde wohl schon damals vermutlich eine Wildvogelhenne zur Bastardzucht eingesetzt.
Bei Ruß (10. Aufl. 1901) ist auf Seite 173 ein ähnlicher Mischlingsvogel abgebildet, allerdings mit deutlich größerer Haube. Die „Urhaube“ von 1610 hat erheblich weniger Volumen!
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Kommentierung von Ruß aus dem Jahre 1901:
„Die Verwendung gehäubter Kanarienweibchen zur Mischlingszucht ist nicht mehr üblich. Unserem Geschmack würden derartige Mischlinge nicht zusagen. Die Zeichnung ist angefertigt nach einer Abbildung aus „Naturgeschichte der Stubentiere“ von J. M. Bechstein, Band I „Stubenvögel“, zweite Auflage, 1800. Bechstein hält Mischlinge zwischen Stieglitz und gehäubten Kanarienweibchen für besonders schön und redet der Kreuzung auch anderer Wildvögel mit solchen Weibchen das Wort. In einer Anmerkung will er aber zur Mischlingszucht mit Gimpeln, die damals in Böhmen stark betrieben wurde, solche Weibchen nicht verwendet haben, „weil diesen Bastarden, welche dicke Köpfe haben, solche Hauben äußerst schlecht stehen“. Bechstein findet den Vogel, welcher unserer Abbildung als Vorlage gedient hat, außerordentlich schön.“
Kanarienhauben und ihre historische Erwähnung
Tempora mutantur, nicht nur die Zeiten ändern sich, sondern auch der Geschmack! Die vorstehenden Ausführungen lassen damit nur die Schlussfolgerung zu, dass der Kanari aus dem Jahre 1772 nach heutigem Kenntnisstand wohl nur noch als drittälteste Abbildung eines Haubenvogels bezeichnet werden kann. Dabei ist mir natürlich klar, dass es sich bei der zweitältesten Abbildung um die Darstellung eines Bastard-Kanarienvogels handelt, wenn es dann tatsächlich ein Haubenvogel ist.
Zur Wertschätzung der verschiedenen Farben der Kanarien führt Bechstein Folgendes aus: „Derjenige, der gelb oder weiß am Körper ist und Isabellfarbe an Flügeln, Kopf (besonders wenn dieser gekrönt ist) und Schwanz hat, wird jetzt für den allerschönsten gehalten. (Tafel III 1. Mitte) Nächst diesem folgt der goldgelbe mit schwarzem oder schwarzgrauem Kopf (mit oder ohne Haube), Flügeln und Schwanz“ (Tafel III 2. oben). Für Bechstein ist der vorzüglichste Bastard der Kanarien- Stieglitzbastard (Tafel III 3. unten).
„Die Farben dieser Bastarde bestehen aus einer Zusammensetzung der Farben der Stammeltern und es fallen oft außerordentlich schöne Vögel aus. Der schönste, den ich je gehabt und gesehen habe, war so gezeichnet: Die struppige Holle war aschgrau; der übrige Kopf und der Oberhals silberweiß; um den Schnabel herum eine breite orangerote Einfassung; um den Hals ein schneeweißer Ring; der Rücken graubraun, schwarz gestrichelt; der Steiß weiß; der Unterleib schneeweiß; der After, die Flügel und die ersten Schwanzfedern weiß, die übrigen so wie die Deckfedern schwarz, gelb gesäumt und mit einem goldgelben Spiegel in der Mitte der Flügel; der Schwanz weiß mit einem schwarzen Seitenflecke; Schnabel und Füße weiß, ersterer mit einer schwarzen Spitze. Bei diesem Vogel war die Mutter weiß mit graugrüner Holle. Überhaupt fallen die schönsten Vögel aus, wenn man gelbe oder weiße Vögel mit den Stieglitzen zusammenpaart.“
Zu den vorstehenden Ausführungen passt auch eine weitere Abbildung, die wohl aus den Jahren 1830/1840 stammt und wiederum unten einen gehäubten Stieglitz-Kanarienmischling zeigt.
Die zeichnerische Darstellung eines Haubenvogels scheint gar nicht so einfach gewesen zu sein. In dem Büchlein „The Canary“ von Barnesby aus dem Jahre 1877 finden wir Zeichnungen von Haubenvögeln, die man nur als skurril bezeichnen kann.
Am Ende des neunzehnten Jahrhunderts finden wir dann in „The Feathered World“ sowie im Werk von Blakston, Swaysland und Wiener Abbildungen von Haubenkanarien, die erahnen lassen, wie die modernen Haubenrassen, so wie wir sie heute kennen, sich entwickeln konnten.
Diese Weiterentwicklung der Hauben setzt jedoch eines voraus: Man muss wissen, wie sie sich vererben! Gregor Mendel entdeckte die nach ihm benannten Mendelschen Regeln im Jahre 1865. Doch schon lange zuvor wussten Kanarienzüchter mit dem Erbgang der Haubeneigenschaft umzugehen. Bereits im Jahre 1762 weist Wickede in seinem Büchlein „Kanari-Uitspanningen of nieuwe Verhandeling van de Kanari-Teelt“ darauf hin, dass man keine zwei Haubenvögel miteinander verpaaren soll. Vielmehr soll ein Partner ohne Haube sein, ansonsten wird die Nachkommenschaft nicht schöner, sondern die Hauben werden schlechter!
Ein Partner ohne Haube
Wenn man gut beobachtet und aus diesen Beobachtungen die richtigen Schlüsse zieht, kann man auch ohne tiefergehende Kenntnis genetischer Zusammenhänge eine Eigenschaft wie die Haube züchterisch voranbringen, wie dies die Abbildungen um 1900 aus England beweisen, die Lancashirebzw. Crested-Kanarien zeigen.
Und 1900 ist auch das Jahr, in dem die zunächst kaum gewürdigten Mendelschen Regeln von Correns, Tschermak und de Vries unabhängig voneinander in ihrer Bedeutung neu entdeckt wurden. Die damaligen Kanarienzüchter werden dies wahrscheinlich kaum zur Kenntnis genommen haben. Wozu denn, man war doch auch so erfolgreich und wusste aus Erfahrung, wie man zu verpaaren hat und damit züchterisch vorankommt!
Ganz bemerkenswert ist die heutige Vielfalt der Varietäten des Kanarienvogels, die eine Haube tragen. Es gibt wohl keine Eigenschaft wie Gesang, Größe, Haltung, Form, Farbe oder Gefiederstruktur (Frisuren), die nicht mit der Haubeneigenschaft kombiniert wurde. Nicht alle daraus resultierenden Züchtungen vermögen zu gefallen.
Aber das ist nun mal, wie alles im Leben, eine Sache des persönlichen Geschmacks!