Kurzbeschreibung des Lancashire-Kanarie
Der Lancashire ist eine große, glattbefiederte englische Kanarienrasse mit Haube. Sie ist nur in den Farben Gelb und Weiß zugelassen.
Die Geschichte des Lancashire
Für die Entstehung des Lancashire wird der im belgischen Flandern Mitte des 18. Jahrhunderts gezüchtete Große Vogel von Gent – der „Grote Gent´se Vogel“ – herangezogen, der seinem Namen nach ein wahrer Gigant unter den damals existierenden Kanarienrassen gewesen sein soll.
Die Aussagen zur Entstehung der Lancashire als eigenständige Rasse ist in der Literatur hingegen sehr unterschiedlich. Sie ist zwischen 1780 und 1820 einzuordnen und forderte bereits damals annähernd die noch heute gültigen Rassemerkmale. Sowohl in Lancashire als auch in Greater Manchester widmete man sich der Züchtung dieser Rasse, wodurch in den Anfängen beide Grafschaften Namensgeber dieser Rasse sein wollten. Der Name Lancashire hat sich jedoch durchsetzen können und ist heute weitestgehend etabliert.
Der Verlust seiner Popularität und der hiermit verbundene starke Rückgang der Rasse lag Ende des 19. Jahrhunderts in der Erzüchtung neuer Rassen wie Norwich, Crest und Yorkshire.
Diese Rassen stammen der Überlieferung nach ursprünglich vom Lancashire ab und sind um das Jahr 1870 zu datieren. Leider sorgte der Zweite Weltkrieg für das Verschwinden der letzten Vertreter der alten Rasse Lancashire und die Rasse starb aus.
Einige Jahre nach dem 2. Weltkrieg machten es sich einige motivierte Züchter zur Aufgabe, selten gewordene oder ausgestorbene Positurkanarienrassen verstärkt zu züchten bzw. zu rekonstruieren. Mit Hilfe der noch existierenden Crested und der Yorkshire, die das genetische Material der „alten Lancashire“ immer noch in sich trugen, konnte das äußere Erscheinungsbild des Lancashire wiederbelebt werden. Heute gibt es ihn wieder – den Lancashire – und einige Zuchtstämme kommen dem einstigen Ideal schon sehr nahe.
Die Merkmale der Rasse
Die Haltung des Lancashire ist aufrecht und imponierend. Ein massig scheinender, gut gebauter Vogel, der aufrecht stehend auf starken, leicht angewinkelten Beinen und Füßen eine lang gestreckte, kommandierende Offiziersstellung einnehmen und beim Betrachter einen mächtigen Eindruck hinterlassen sollte. Er ist nur in Gelb oder Weiß zugelassen und darf keinerlei Scheckung zeigen.
Der Lancashire ist die größte zurzeit existierende englische Kanarienrasse. Der Lancashire zählt deshalb zu den großen, glatt befiederten Rassen und gehört zu den Haubenkanarien. Man unterscheidet zwischen dem „Lancashire Coppy“ als Haubenvogel, und dem „Lancashire Plainhead“ als Glattkopfvogel. Bei beiden sind die Rasseanforderungen, bis auf die fehlende Haube beim Plainhead, gleich. Zuchtziel beim Coppy ist die aufgehellte Haube, jedoch sind auch melaninhaltige Grizzle-Hauben zugelassen.
Die Länge von 9 Inch (23 cm) wurde bis vor kurzem als das ideale Maß empfohlen. Offenbar liegt aber hier ein Übertragungsfehler vor, der sich vor langer Zeit eingeschlichen hat. In allen älteren Publikationen wird von einer Größe von 8 Inch (20,3 cm) gesprochen. Eine offizielle Standardänderung auf 9 Inch wurde niemals dokumentiert. Zur C.O.M./O.M.J.-Tagung im September 2018 in Cervia (Italien) wurde dem Antrag von Großbritannien und Italien stattgegeben, die Größe wieder auf die traditionelle 8 Inch (~ 20 cm) festzulegen.
Die Haube (engl. Coppy) muss rund und flach sein und von einem möglichst kleinen Mittelpunkt aus sollten die möglichst langen, weichen Haubenfedern gleichmäßig nach allen Seiten ausstrahlen. Dabei sollen die Haubenfedern ausladend nach vorne den Schnabel erreichen und zur Seite nur sehr wenig über die Augen fallen. Die Augen dürfen nicht vollständig verdeckt werden! Die Federn hinter der Augenlinie sollen von dort bis in den Nacken hinein so eng wie möglich anliegen und mit den Federn im Nacken übergangslos eine Einheit bilden. So vermittelt sich dem Betrachter der Haube der Eindruck einer hufeisenförmigen Haube (engl. horseshoe).
Der Glattkopf (engl. Plainhead) muss in allen Punkten, bis auf die Haube, die gleichen Merkmale mitbringen wie der Haubenvogel, um so einen guten Lancashire entstehen zu lassen. Daher muss auch der Glattkopfvogel eine geeignete Kopfform und eine dem Haubenvogel dienliche Gefiederqualität mitbringen. Die Kopffedern müssen gleichmäßig und bogenförmig zu allen Seiten herabfallen, um starke Überaugenwülste entstehen zu lassen. Die Augen müssen jedoch frei bleiben! Die Kopffedern des Glattkopfvogels genügen dem erforderlichen Anspruch, wenn sie sich mit einem Stift nach vorne bis an die Schnabelspitze streifen lassen.
Die Haube oder der Kopf wird beim Lancashire mit maximal 30 Punkten bewertet, womit die Wichtigkeit dieses Rassemerkmales unterstrichen wird.
Der Lancashire präsentiert sich aufrechtstehend auf starken, leicht gewinkelten Beinen. Er vermittelt mit seinem großen, gut gebauten Typ dem Betrachter einen massigen, mächtigen und kraftvollen Eindruck. Der Rumpf wird durch einen breiten, gut gerundeten Rücken, einer vollen Brust und breite Schultern charakterisiert. Keinesfalls soll die größte Breite der Brust wie beim Yorkshire zu weit oben angesiedelt sein, sondern wesentlich tiefer den größten Umfang zeigen. Der Körper ist lang und läuft zum langen, leicht abfallenden Schwanz hin spitz zu. Die Flügel sind lang, geschlossen und eng am Körper anliegend, so dass der gestreckte Eindruck unterstrichen wird.
Der kräftige Hals geht in einen wohlgefüllten Nacken über. Hals- und Nackenbereich sind deutlich vom Rumpf abgesetzt. Es bildet sich eine ganz leichte Einschnürung, die die Ausprägung des Schulterbereiches noch unterstreicht.
Der Lancashire zeigt eine nur leicht gewölbte Rückenlinie. Sie unterstreicht den Gesamteindruck des gestreckten Vogels.
Ursprünglich hatte der Lancashire ein eher raues Gefieder, da man das Hauptaugenmerk auf die Größe legte und der Gefiederqualität weniger Aufmerksamkeit als heute schenkte. Auch die Gefiederfarbe – traditionell gelb oder weiß, ohne jegliche Scheckung – konnte gegenüber den früheren Lancashire wesentlich verbessert werden.
Die Beine sollen kräftig sein und deren Länge muss harmonisch zum Erscheinungsbild passen.
Weitere Erläuterungen finden Sie im aktuellen Standard für Positurkanarien.
Der Lancashire auf Ausstellungen
Der Lancashire wird in Deutschland im Kuppelkäfig ausgestellt. Nachdem er sich den Sommer über in einer geräumigen Flugvoliere vollständig entwickeln konnte und die Mauser gut überstanden hat, sollte man ihn mindestens sechs Wochen vor dem ersten Schautermin einzeln in eine Zuchtbox verbringen. Beschädigtes Großgefieder kann zu diesem Zeitpunkt noch problemlos entfernt werden. Es wird bis zur ersten Vogelschau wieder nachgewachsen sein. Auch können verlorene Deckfedern, insbesondere bei den Haubenvögeln fehlende Federn in der Haube, in Ruhe nachwachsen. Weiterhin sollte jeder Vogel zu diesem Zeitpunkt auch auf etwaigen Parasitenbefall wie Federlinge bzw. Milben untersucht werden.
Trotz seines meist sehr ruhigen Wesens darf auch dem Lancashire das Schautraining nicht fehlen. Vielfach wird von Trainingsmethoden berichtet, bei denen der Vogel durch an den Unterseiten angebrachte Verkleidungen an Boxen und Ausstellungskäfigen zum Strecken animiert werden soll. Hiervon wird von namhaften Ausstellern nur abgeraten. Vielmehr ist die lang gestreckte Haltung angezüchtet worden und kann durch Selektion auf dieses Merkmal noch unterstützt werden
Immer häufiger sollten die Vögel nun in die Ausstellungskäfige verbracht werden. Nachdem man langsam die Verweildauer steigert, können sie alsbald auch die erste Nacht im Schaukäfig verbleiben.
Etwa eine Woche vor der Ausstellung bleiben die Vögel dann dauerhaft in den Ausstellungskäfigen. Die Vögel haben nun nur noch wenig Scheu und es stört sie nicht mehr, wenn man die Käfige zum Füttern in die Hand nimmt.
Zwei bis drei Tage vor der Einlieferung sollten unregelmäßig fallende Haubenfedern korrigiert, sowie verbogene Schwanz- oder Flügelfedern gerichtet werden. Auch die Ständer, die Zehen und der Ring sind vor der Einlieferung zu reinigen. Durch leichtes fetten wird die Schuppung an Beinen und Füßen besonders ansehnlich.
Bleibt zu hoffen, dass sich die Lancashire vor dem Preisrichter wie gewünscht präsentieren und der erhoffte Erfolg sich in Form einer guten Bewertung einstellt.
Haltung und Zucht
Außerhalb der Zuchtzeit ist der Lancashire durchaus zur Haltung in geräumigen Flugvolieren geeignet und hat eine positive Auswirkung auf seine Entwicklung. Die beim Lancashire auch festzustellende Neigung zur Verfettung, und den damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Gesundheit, kann durch reichliche Bewegung in einer Voliere vorgebeugt werden.
Bezüglich der Fütterung stellt der Lancashire keine besonderen Ansprüche an seinen Pfleger. Das Körnerfutter sollte einen höheren Anteil an mehlhaltigen Sämereien haben als es für andere Rassen oder Farbenkanarien üblicherweise verwendet wird. Ein zu hoher Anteil an ölhaltigen Sämereien fördert die bereits angesprochenen Neigung zur Verfettung. Zusätzlich sollte den Lancashire Leinsamen und/oder Leindottersamen separat angeboten werden. Diese Saaten begünstigen den Federaufbau durch ihren Gehalt an Aminosäuren und Omega-3 Fettsäuren. Weiterhin zeigen Sie durch ihren Gehalt an Schleimstoffen positive Auswirkungen auf den Verdauungstrakt.
An Grünfutter gewöhnte Lancashire haben mit der Verdauung keinerlei Schwierigkeiten. Wie bei allen Kanarienrassen sollte auf die Gabe von Multivitamin-Präparaten das ganze Jahr über nicht verzichtet werden. Vitaminpräparate sind täglich frisch zuzubereiten, da diese bereits nach kurzer Zeit eine toxische Wirkung entwickeln.
Zur Zucht sollte der Lancashire paarweise in großzügig bemessene Zuchtboxen, mit einer Mindestlänge von 80 cm und eine Breite und Höhe von je mindestens 50 cm haben. Die Sitzstangen sollten nicht zu hoch unter der Käfigdecke angebracht sein, um ihm eine aufrechte Haltung zu ermöglichen. Auch im Hinblick auf das Befruchtungsergebnis sollte dieser Hinweis unbedingt Beachtung finden, um dem Hahn beim Befliegen des Weibchens nach oben genügend Platz zu verschaffen.
Die Käfigausstattung unterscheidet sich nicht von denen anderer Kanarienrassen. Lancashire baden recht gern. Daher sollte den Vögeln regelmäßig eine ausreichend große Badegelegenheit angeboten werden. Die Öffnungen für die Außenfutternäpfe sollten, wie bei allen Haubenrassen, nicht zu klein sein, um die Haube bei der Futteraufnahme nicht zu ruinieren.
Wie bei allen Haubenrassen werden auch beim Lancashire Haubenvögel mit Glattkopfpartnern verpaart. Dabei ist es gleichgültig, ob Hahn oder Henne eine Haube tragen.
Die Verpaarung zweier Haubenvögel ist, wie bei allen Haubenrassen, tierschutzrechtlich verboten. Alle Nachkommen, die den Haubenfaktor doppelt besitzen (Letalfaktor), sterben bereits im Ei ab. Die Verpaarung zweier Plainheads miteinander hingegen ist ohne Nachteil für die Nachkommen, entspricht jedoch nicht dem Zuchtziel schöner Haubenvögel.
Um die Größe und die gewünschte Federlänge der Vögel zu erhalten bzw. zu verbessern, werden sehr häufig Schimmelvögel miteinander verpaart. Es sollte jedoch darauf Wert gelegt werden, dass nicht fortwährend Vögel mit weichem Gefiederverpaart werden. Hierdurch können sich die gefürchteten Federzysten (Lumps) bilden, die schon manchem Züchter den Zuchtstamm gekostet haben.
Vögel mit sehr weichem Gefieder sollten mit intensiven Partnern mit härterer Feder verpaart werden. Sicherlich wird bei diesen intensiven Vögeln die Haubenqualität sehr zu wünschen übrig lassen. Trotzdem sollten Sie in der Zucht Verwendung finden.
Die Haube des Lancashire darf rein lipochrom, grizzle oder dunkel sein. Da es sich bei den mit Melanin durchsetzten Hauben um eine Scheckung handelt, treten beiden Nachkommen immer wieder Vögel mit Scheckung auf. Seltener an Körper und Flügeln, häufiger am Kopf. Zur Zucht müssen diese Nachkommen nicht unbedingt ungeeignet sein. Diese „Ticket-Vögel“ können sehr wohl zur Verbesserung der Gefiederqualität behutsam in die Zucht eingebaut werden.
Oftmals wachsen dunkle Federn nach der Jugendmauser vollständig gelb oder aber zumindest wesentlich heller nach. Vor der Zuchtzeit werden lange und spitze Krallen stumpf geschnitten um Beschädigungen der Gelege vorzubeugen.
Text: Thomas Müller, Uwe Feiter – überarbeitet von Norbert Schramm
Fachgruppe im DKB
Für den Lancashire ist im Deutschen Kanarien- und Vogelzüchterbund e.V. die Fachgruppe der Farben- und Positurkanarien zuständig.
Im Bereich der Sachkunde findet man Erstinformationen zur Kanarienhaltung.
Fragen zum Lancashire
Fragen zum Lancashire haben wir in Unterartikeln aufgelistet und hier aufgeführt. Bei weiteren Fragen kontaktieren Sie uns gern.
Quellen und Literaturangaben
Positurkanarienstandard des Deutschen Kanarien- und Vogelzüchterbund e.V. (Stand 2020), Loseblattsammlung
H. Claßen, W. Kolter: Die Positurkanarien. Eigenverlag Rheinmünster, 2005.
T. Müller, U. Feiter: Faszination Positurkanarien – eine Leidenschaft für’s Leben. Palm Druck & Verlag, Baesweiler, 2013.
N. Schramm: Kompendium-Kanarien, Band 3, Positurkanarien aus aller Welt. Books on Demand, Norderstedt, 2022.